von Stefan Nadolny
Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
sollte Deutschland der Ukraine Waffen liefern? Und mehr und schwere Waffen?
Das Leid der Menschen ist furchtbar, das Leid jedes und jeder Einzelnen, die getötet werden, verletzt werden, Invaliden werden. Die Angehörige verlieren und ihre Heimat. Die das Leid nicht verarbeiten können und den Schmerz und die Verbitterung in ihrem Herzen tragen.
Aber die Frage ist: Können wir durch Lieferung von Waffen Leid verhindern, oder besteht die Gefahr, dass Waffen alles noch schlimmer machen?
Nun sind wir ja auf einem Ostermarsch, und da möchte ich als Pfarrer auch ein klein bisschen von Ostern sprechen, genauer gesagt über die unmittelbare Vorgeschichte, an die wir an Gründonnerstag denken, und in der die gewaltfreie Haltung Jesu auf die Probe gestellt wird.
Die Soldaten kommen in den Garten Gethsemane, um Jesus gefangen zu nehmen. Einer seiner Jünger will ihn verteidigen, aber Jesus sagt: Steck dein Schwert weg, denn wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Dieser Satz entspricht ziemlich genau meiner Sorge, wenn es um Waffenlieferungen geht, denn: Wohin soll das alles führen?
Gerade wenn es mit Hilfe westlicher Waffen zu militärischen Erfolgen kommen sollte, kann es durch Gegenschläge Russlands zu hohen Opferzahlen auf ukrainischer Seite kommen. Soeben hat die CIA vor dem Einsatz taktischer Atomwaffen in einer solchen Situation gewarnt.
Und auch eine Ausweitung des Krieges über das Gebiet der Ukraine hinaus ist dann möglich, auch ein Angriff auf die Waffen liefernden Länder, die mit ihren Lieferungen zur Kriegspartei werden. Moskau hat in den letzten Tagen entsprechende Protestnoten verschickt.
Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Wer zum Panzer greift, wird durch taktische Atomwaffen umkommen.
Ist es wirklich verantwortungslos und unsolidarisch, Waffenlieferungen in Frage zu stellen, wenn gleichzeitig die Gefahr besteht, dass gerade die Waffenlieferungen zu noch größerem Leid führen könnten?
Oder ist es umgekehrt verantwortungslos, in Konfliktgebiete Waffen zu liefern, was jahrzehntelang aus gutem Grund die offizielle Haltung der Bundesrepublik zu Waffenexporten war (auch wenn das nicht wirklich umgesetzt wurde)?
Die Ukraine darf nicht verlieren, deshalb müssen wir Waffen liefern, hört man jetzt oft. Aber was genau heißt in diesem Krieg Verlieren oder Siegen? Dabei müsste das konkrete Ziel eines Krieges eigentlich bekannt und erreichbar sein.
Ein vollständiger Sieg wird kaum möglich sein. Das Entscheidende bleiben die Verhandlungen. Macht es dann wirklich Sinn, weiter Krieg zu führen, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken? Ob die Verhandlungen zu Ergebnissen führen hängt viel mehr davon ab, zu welchen Kompromissen man bereit ist.
Die Ukraine entscheidet. Aber auch wir entscheiden: Wofür geben wir Waffen? Und wie viele und welche Waffen? Ich habe Robert Habeck jetzt so verstanden: Wir liefern bewusst keine schweren Waffen. Diese Begrenzung finde ich richtig.
Ich stelle es mir nicht leicht vor, dem Druck von Melnyk und Selensky standzuhalten, und deshalb habe ich einigen Respekt vor der im Vergleich zu anderen Ländern noch vergleichsweise zurückhaltenden Haltung der Bundesregierung.
Gleichzeitig ist es jetzt wichtig, bei der Zurückhaltung zu bleiben bzw. zurückhaltender zu werden. Und die Milliardenhilfe zum Waffenkauf für die Ukraine ist leider auch eine Form von Militärhilfe.
Ich könnte mir vorstellen, dass es hilfreich wäre, auch seitens der Politik selbstbewusster der Kritik aus der Ukraine zu begegnen und in Deutschland und international klarer darzulegen, was auch gegen Waffenlieferungen spricht.
Und welche Vorteile ein alternativer Weg haben könnte.
Ich erlebe die deutsche Politik argumentativ weitgehend in der Defensive, und das trotz starker Unterstützung für die Ukraine, auch mit Waffen. Aber was spricht dagegen, sich stärker inhaltlich zu positionieren?
Bundespräsident Steinmeier wurde vom ukrainischen Botschafter Melnyk für ein Spinnennetz von Beziehungen nach Russland kritisiert und musste Fehler einräumen. Da gibt es sicherlich Ambivalenzen, aber ist es wirklich nötig, den Aufbau von Beziehungen grundsätzlich als Spinnennetz zu diskreditieren? Ich hoffe, dass das Beziehungen Knüpfen und Brückenbauen schon bald wieder an Bedeutung gewinnen wird.
Präsident Selensky sprach anlässlich des 50. Kriegstages davon, manche Politiker verhielten sich so, als würden sie keine Macht haben. Da fühlt man sich vermutlich erstmal beleidigt, aber es kann durchaus richtig sein, nicht alle seine Macht-Möglichkeiten zu nutzen, sondern auf andere Strategien zu setzen. Für das Christentum ist das im Grunde sogar ein Grundgedanke.
Ich denke es ist wichtig, sich zu erklären. Immer wieder deutlich zu machen, dass Waffen allein nicht zum Frieden führen werden.
Sicher wird man sich fragen lassen müssen: Was geschieht denn, wenn wir gar keine Waffen liefern?
Einen sehr großen praktischen Unterschied wird es nicht machen, da ja andere Länder Waffen liefern.
Deutschland würde sich damit stärker abgrenzen von der europäischen Gemeinschaft und den USA, und sicher vorgeworfen bekommen, einer Verantwortung nicht nachzukommen. Das kann man wie gesagt unterschiedlich sehen. Und über diese unterschiedlichen Sichtweisen sollte dann auch innerhalb des westlichen Bündnisses intensiver diskutiert werden.
Im besten Fall könnte ein solcher Schritt positive Auswirkungen auf die Verhandlungen haben. Weil sich die Ukraine vielleicht ein bisschen weniger auf die Kraft ihrer Waffen verlassen würde und so in den Gesprächen kompromissbereiter wäre.
Und weil Deutschland vielleicht etwas leichter ins Gespräch mit Putin kommen könnte. Das sind keine angenehmen Gespräche. Und leider stimmt auch der Satz nicht mehr, dass solange geredet wird nicht geschossen wird.
Aber dennoch, Gespräche sind der einzige Weg. An einer solchen Einsicht gilt es festzuhalten, auch in schwierigen Zeiten.