Nahed Ayash hat Deutsch gelernt, möchte arbeiten und hofft, „der Krieg geht vorbei“
Nahed Ayash kam vor fünf Jahren mit ihrem Mann und ihren vier Söhnen aus dem zerstörten Syrien nach Deutschland. Die beiden Töchter leben mit ihren Ehemännern und Familien weiterhin in Syrien. „Es gibt viele Probleme“, sagt Nahed Ayash. In Syrien muss ihre Familie durch den Krieg materiell sehr viel verloren haben. Über die Verluste spricht sie nicht. Geblieben sind ihre Bildung und Aufgeschlossenheit, ihre Höflichkeit und Gewandtheit, ihre Angst und ihre Sorgen: „Ich habe immer Angst. Die Töchter haben nicht genug Geld für das Essen der Kinder, und wenn die Ehemänner zum Militär müssen, können die Frauen nicht allein leben. In Syrien können Frauen und Mädchen nicht allein leben.“ Nahed Ayash senkt den Blick.
Sie möchte arbeiten. Sie lernt Deutsch, spricht es sehr gut und beherrscht die Grammatik. In Syrien war sie Englisch-Lehrerin, und am liebsten in der ersten Klasse. Sie hat Empathie. Ihre Klassen waren inklusive Klassen. Denn wenn die Eltern eines Kindes mit Behinderung sie baten, auch dieses Kind zu unterrichten, hat Nahed Ayash das Kind in die Klasse aufgenommen, mit ihm gefühlt und es bestärkt. Wenn Nahed Ayash von den Kindern erzählt, denen sie auf dem Weg ins Leben geholfen hat, dann strahlt sie. Die Erinnerung an die Arbeit mit den Kindern mit Behinderung nimmt Angst und Sorgen von ihr, und lässt sie lachend und gestenreich erzählen.
Dann kehrt die Wirklichkeit zurück: „Ich möchte arbeiten.“ Nahed Ayash schreibt Bewerbungen und hofft auf eine bezahlte Stelle. Die in Syrien erworbene Qualifikation zählt in Deutschland nicht. Seit zwei Jahren hilft Nahed Ayash bei der Lebensmittelverteilung in der Kirche – ehrenamtlich: „denn ich möchte Deutsch lernen und ich mag Menschen. Ich kann nicht allein leben. Hier treffe ich Menschen, sehr nette Männer und Frauen. Es ist sehr gut hier. Hier sind Menschen aus sehr vielen Kulturen. Das ist kein Problem. In Syrien hatten wir auch immer Menschen aus sehr vielen Kulturen. Auch in Deutschland leben viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen, und das Zusammenleben der vielen Religionen funktioniert gut. Jeder Mensch hat seine Meinung. Als ich hörte, dass hier Essen verteilt wird, dachte ich, dass das eine sehr gute Idee ist. Ich erinnerte mich an die zerstörte Heimat. Auch hier in Deutschland gibt es Leute ohne Arbeit und mit wenig Geld. Aber Deutschland ist ein Land, das den Leuten hilft, und nicht sehr viele Menschen brauchen Hilfe hier. Ich möchte nicht zurück nach Syrien. Das hier ist jetzt meine Heimat. Ich hoffe, der Krieg geht vorbei wie eines Tages Corona, und alles wird gut. Ich habe keine Probleme. Ich sage mir: Es kommt von Gott.“
Portrait: Claus Müller von der Grün – Foto: Karola Müller von der Grün