Redebeitrag von Pfarrer Stefan Nadolny bei der Kundgebung des Kassler Friedensforum mit den Musikern der „Lebenslaute“ anlässlich der Documenta-Eröffnung, am 11.6.2017
Liebe Organisatoren, liebe Anwesende, liebe Documenta-Besucherinne und –Besucher,
ich habe mich gefreut über die heutige Aktion des Friedensforums und der Lebenslaute und über die Anfrage, und möchte gern hier ein paar Worte sagen.
Die Aktion ist an einem sonnigen Tag wie heute passend und unpassend zugleich. Einerseits sind Documenta-Besucher Kummer gewohnt – im Fridericianum sind die Schrecken des Krieges sehr präsent, und Flucht und Migration sind ein wichtiges Thema. Andererseits ist es nicht unbedingt schön, an einem sonnigen Tag wie heute auch noch darauf hinzuweisen, dass auch in Kassel Waffen produziert werden, die in diesen Kriegen zum Einsatz kommen. Dennoch ist das dringend nötig.
Ein Berufsschullehrer erzählte mir, dass einige geflüchtete Schüler seiner Schule bei Krauss-Maffai-Wegmann ihre Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker machen. Dort werden sie Waffen wiedererkannt haben, die sich schon aus Syrien kannten. Das hat mich ziemlich nachdenklich gemacht. Kann das wahr sein, dass wir die Waffen liefern, vor denen Flüchtlinge hierher fliehen?
Die Kirchen, evangelisch wie katholisch, haben immer wieder in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass Rüstungsexporte zur Friedensgefährdung beitragen und dass mit größter Sorge betrachtet wird, dass Deutschland Rüstungsexporteuer Nr. 5 weltweit ist, bei Kleinwaffen, der problematischsten Kategorie, sogar die Nummer 3 – dabei werden die Rüstungsexportkontrollen viel zu oft zu lax gehandhabt. Waffenlieferungen an kriegsführende Staaten und Staaten, die Demokratie und Menschenrechte missachten, sollten grundsätzlich ausgeschlossen sein. Aber reicht das? Waffen töten, dazu sind sie gemacht. Waffen leben lang – und Waffen wandern. Es entzieht sich unserer Kontrolle, wofür sie letztlich eingesetzt werden. Das ist im Syrienkrieg besonders deutlich geworden, wo der IS sogar Leopard-2-Panzer erbeutet hat. Das Geschäft mit Waffen mag einträglich sein – aber es wäre nicht nur unethisch, sondern auch äußerst kurzsichtig, seinen Wohlstand auf Waffengeschäfte aufzubauen. Waffenexporte sollten auf ein Minimum reduziert werden! Wir brauchen dringend eine stärkere Kontrolle der Rüstungsexporte und Transparenz der Genehmigungsverfahren, wie das u.a. die Aktion Aufschrei gegen Waffenexporte fordert.
Die auch in Kassel ansässige Firma Rheinmetall möchte Rüstungsexportkontrollen in Zukunft ganz aus dem Weg gehen, indem sie mittels einer Tochtergesellschaft mit einem türkischen Panzerbauer kooperiert und direkt in der Türkei produziert. Dem müssen wir und müssen Politiker entschieden entgegentreten! Eine Firma kann nicht einerseits die Bundeswehr beliefern und andererseits sich jeglichen Kontrollen entziehen und offen zugeben, dass sie auf dem Wachstumsmarkt Naher Osten schlicht und einfach Geschäfte machen will, ohne Rücksicht auf Verluste. Hier muss Druck ausgeübt werden! Die Freiheit der Wirtschaft muss Grenzen haben!
Waffeneinsatz mag unter den jetzigen Bedingungen in einzelnen Fällen als ultima ratio notwendig sein. Aber das Problem ist: Diese ultima ratio prägt das Denken und Handeln von Anfang an. Menschen und Staaten verlassen sich auf die Stärke ihrer Waffen. Das ist schon von den Propheten der Bibel in aller Schärfe angeprangert worden. Die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 fordert: „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten!“ Die prima ratio müssen nicht-militärische Lösungen bleiben. Und die müssen ausreichend finanziert werden. Es kann nicht sein, dass man 9x mehr für Militär als für Entwicklungszusammenarbeit ausgibt und dann bedauert, dass Friedensdienste nichts bewirken können. Wir brauchen eine ausreichende Finanzierung der nichtmilitärischen Optionen! Gerade wo sich im Moment z.B. in Syrien doch deutlich zeigt, wie wenig mit Waffengewalt zu erreichen ist.
Menschen fliehen vor gewaltsamen Auseinandersetzungen, die auch mit in Deutschland produzierten Waffen geführt werden. Dass diese Menschen hier Schutz brauchen, hat nicht nur die EKD-Synode kürzlich bekräftigt. Viele Menschen kommen auch hier an. Aber, ich zitiere Pro Asyl: „Seit dem Jahr 2000 sind an den Außengrenzen der EU über 35.000 Menschen ums Leben gekommen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend waren. Die Politik der EU nimmt ihren Tod billigend in Kauf. Sie schottet ihre Grenzen ab, versperrt Schutzsuchenden sichere Fluchtwege, zwingt sie auf lebensgefährliche Routen. Statt alles daran zu setzen, schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten, setzt die EU auf die militärische Bekämpfung von Schleppern. Dies hindert Menschen in Not nicht daran, sich auf den Weg zu machen. Nur ein europäisches Seenotrettungsprogramm und legale Fluchtwege können das Sterben an Europas Grenzen beenden.“
Also: Die EU muss sichere legale Wege ermöglichen und Familienzusammenführung sichern („Familien gehören zusammen“).
Ein Skandal ist es, dass inzwischen Entwicklungshilfegelder, die ohnehin schon minimal sind, für Grenzsicherungssysteme oder Schutz einer militärischen Präsenz ausgegeben werden, wie das Forum Ziviler Friedensdienst beklagt. Es wird immer wieder gefordert, dass man beim Thema Flüchtlinge in den Herkunftsländern ansetzen müsste. Ja, das ist ein wichtiges Element, das aber nicht in Konkurrenz treten darf zur Notwendigkeit Flüchtlinge aufzunehmen. Und: Wir müssen nicht nur in den Herkunftsländern ansetzen, sondern auch bei uns! Indem hier bei uns ganz klar wird: Wir verzichten darauf, mit Waffenexporten in Krisenregionen Geschäfte zu machen! Schwerter zu Pflugscharen, das ist immer noch eine Arbeit, die zu tun ist. Rüstungskonversion ist möglich und nötig!
„Selig sind die Frieden stiften!“ heißt es in der Bibel. Und es geht dabei um einen Frieden, der nicht mit Waffen erkämpft wird. Es geht um einen Frieden, der erkämpft wird durch das deutliche Bekenntnis zum Frieden, indem die Wege des Friedens auch beschritten werden!
Und fordern wir das von unseren Politikern ein! Der Bundestagswahlkampf ist sicher eine gute Gelegenheit dazu! Und heute die Documenta: Kassel ist eine Stadt, in der Waffenproduktion eine alte Tradition hat und die im Krieg weitgehend zerstört wurde. Kassel ist Documenta-Stadt und eine Stadt, die viele Flüchtlinge willkommen heißt. Sie soll in Zukunft Stadt des Friedens sein und nicht eine, aus der Waffen unkontrolliert exportiert werden! Dafür brauchen wir eine offene Diskussion über diese Themen!
Vielen Dank für Ihre und eure Aufmerksamkeit – und ich freue mich, dass wir jetzt Musik für das Leben gegen die Logik des Tötens hören!