Man braucht eine Bühne für das Zusammenwirken

„Durch Corona bin ich hierhergelangt“, sagt die Oboistin Ute Liebich: „Mitte März 2020 hat das Theater zugemacht, und als Orchestermusikerin hatte man nichts mehr zu tun. Man war wie benommen. Mein Mann, ein Fagottist, und ich begannen zu wandern. Aber irgendwann sagte ich: Ich möchte was tun. Unsere Tochter aus Leipzig sagte uns: ,Ich kenne jemanden in Kassel, da wird Hilfe gebraucht.‘ So bin ich hier in der Neuen Brüderkirche bei der Lebensmittelverteilung dazu gestoßen. Drei Mal die Woche bin ich hier. Es ist wirklich viel zu tun, und ich bin froh, etwas Sinnvolles zu tun, – dort zu helfen, wo Probleme sind. Ich helfe hier, das Wegwerfen von Lebensmitteln zu vermeiden. Lebensmittel zu retten, das ist mir ein Anliegen, und das läuft hier klasse und unbürokratisch. Ohne dass die Leute, die sich Lebensmittel holen, eine Karte oder einen Nachweis vorlegen müssen.

Ich bin schon erstaunt über die Masse an Lebensmitteln. Brot gibt es scheinbar unendlich viel. Hinzu kommen die günstig ersteigerten Posten von Lebensmitteln. Manchmal kamen schon ganze Lieferwagen mit Toastbrot, oder mit frischen Nudeln mit Pesto.

Das Gespräch mit den anderen, die hier helfen, mit den Leuten aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Iran, kommt ein bisschen zu kurz, weil wir wirklich mit der Verteilung alle Hände voll zu tun haben.

Beim Verteilen erlebe ich immer wieder Diskussionen. Wer nimmt sich wie viel mit? Es gibt einige Menschen, die sind einfach nur dankbar. Andere sind durch ihre soziale Lage, in der sie leben, etwas speziell geworden. Sie können auch sehr fordernd sein und unzufrieden. Ab und zukommen Menschen mit einem Einkaufszettel, vielleicht um die Illusion vom klassischen Einkauf aufrecht zu erhalten.

Ich würde gerne versuchen, die ehrenamtliche Arbeit hier weiterzumachen auch nach Corona. Die künstlerische Arbeit im Theater macht immer sehr viel Spaß, aber der Leistungsdruck ist enorm. Da tut es gut, etwas nebenbei zu machen, was einen erdet und auf den Boden der Tatsachen bringt. Die Sorgen anderer Menschen wahrzunehmen, relativiert die eigenen Schwierigkeiten doch sehr. Egal wie chaotisch es anfängt, am Ende ist es immer gut gelaufen.

Hier in der Kirche herrscht kein Leistungsdruck. Wenn die Helfer eintrudeln, geht die Arbeit los. Jeder kann nach seiner Art arbeiten. Alle kennen die Regeln, aber wer an welchem Tag was macht, ergibt sich. Egal wie chaotisch das manchmal erscheint, am Ende ist es stets gut gelaufen.

Ich kann jedem empfehlen, hier zu arbeiten. Am Ende bin ich zufrieden, weil wir es geschafft haben, richtig viele Lebensmittel weiterzugeben.

Unsere beiden Töchter, die studieren, finden es auch toll, was ich mache, und ich finde es toll, was Stefan Nadolny bzw. die Gemeinde hier macht. Das sind echte Heldentaten. Man braucht eine Bühne für das gemeinsame Zusammenwirken von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Religionen, und die bietet dieser Ort hier.“

Portrait: Claus Müller von der Grün – Foto: Karola Müller von der Grün

Herzlich Willkommen in der Erlöserkirche Fasanenhof und in der Neuen Brüderkirche!