Drei Gruppen mit
Beteiligten aus unserer Gemeinde waren beim Kirchentag in Dortmund, um dort
mitzuwirken und Aufführungen zu gestalten. Einige waren mit der Theatergruppe
Zeitlos dort und führten das Werk Inferno Paradiso auf, ein Stück mit Musik von
Peter Janssens in einem Theater auf – gleich zweimal hintereinander.
Außerdem fuhren die Gruppen Morgen und Palaver Rhababa zum Kirchentag (wobei alle Musiker der Gruppe Morgen auch bei Palaver Rhababa spielen), spielten drei Konzerte und begleiteten drei Veranstaltungen – und machten ungefähr 8x Straßenmusik während der 5 Tage: spielsüchtig! Die Aufführungen waren alle sehr erfolgreich – wenn auch unterschiedlich besucht zwischen 7 und 1000 Teilnehmenden. Zu einem Konzert einer doch eher unbekannten Band morgens um 11 kommen eben nicht so viele Menschen gezielt, zu einem Vortrag eines Friedensnobelpreisträgers aber schon. Die Konzerte haben viel Spaß gemacht und sind bei dem teilweise eher kleinen, aber feinen Publikum auch gut angekommen. Die Veranstaltungsbegleitungen waren außerdem auch sehr interessant, sodass ich von den Themen ein wenig berichten möchte.
Zunächst spielte Palaver Rhababa bei einer Veranstaltung mit Prof. Dr. Volker Perthes, Experte für die Region Naher und Mittlerer Osten und ein wichtiger Berater der Bundesregierung. Er sprach z.B. über den aktuellen Konflikt zwischen Iran und USA. Er betonte zum einen, dass es sich bei den Attacken mehr um eine Art psychologisches Spielchen handele, zum anderen aber auch, wie gefährlich solche Spiele seien. Perthes war bei vielen Versuchen von Vermittlung und Verhandlungen beteiligt und sprach aus einer eher bescheidenen Haltung heraus. Er sprach weniger von Konfliktlösung, diese sein oft nicht möglich. Stattdessen könne man dann Konfliktmanagement versuchen. Dafür sei es dann nötig, Verhandlungen auch mit schwierigen Gesprächspartnern zu führen, bei denen manche fragen würden: „Wieso redet ihr überhaupt mit denen?“. Es war sehr interessant zu hören, wie Prof. Perthes versucht, mit diesen großen Ambivalenzen umzugehen. Die Musik von Palaver Rhababa war dazu sehr passend, z.B. das Stück Homs über diese zerstörte Stadt, das Ahmad Schemis geschrieben hat, der aus Homs kommt.
Die nächste
Veranstaltung im selben Saal im Kongresszentrum war eine mit
Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege. Er ist Gynäkologe und hat eine
Klinik für die Opfer von grausamen Vergewaltigungen aufgebaut – aber auch gegen
die Ursachen protestiert, die schon sehr lange andauernden Konflikte, der
permanente Krieg im Kongo. Die Konflikte hängen auch mit den internationalen
Rohstoffinteressen zusammen. Im Kongo wird vor allem auch Coltan abgebaut, das
für Akkus gebraucht wird, für Mobiltelefone, aber auch für Elektromobilität.
Hier geht es um viel Geld, das wie so oft in den Taschen einiger weniger
landet. Doch auch die westliche Politik, die großen Konzerne und die
Konsumenten haben dabei Verantwortung. Dr. Mukwege ist im Kongo nur knapp einem
Attentat entgangen. Es zeugt von großem Mut, dass er sein Engagement für
Frieden und Gerechtigkeit fortsetzt. Er regt an, dass die westlichen
Demokratien sich für Gerechtigkeit und ein Ende der faktischen Straffreiheit im
Kongo einsetzen, was den Machthabern und Profiteuren in der Demokratischen
Republik Kongo nicht gefallen wird.
Die dritte
Veranstaltung, die die Band Morgen begleitete, war ein Abend im Rahmen des
Liturgischen Tages Umsturz, Umkehr, Utopie. Sie war in verschiedener Hinsicht
ein Erlebnis. Drei Theater-Gestalten begleiteten den Abend mit Theateraktionen,
was sehr anregend war. Zum anderen gab es interessante Vorträge, u.a. von
Hartmut Rosa. Er sprach über Utopie im Zusammenhang mit seinem Thema Resonanz,
gleichzeitig Titel seines Buches, was auch bei Theologen auf großes Interesse
gestoßen ist (womit er selbst gar nicht gerechnet hätte). Resonanz bedeutet für
ihn zunächst eine Aktion und eine Reaktion, aber gleichzeitig auch mehr und
anderes, nämlich ein Geschehen, das sich gerade nicht auf Sender und Empfänger
aufteilen lässt. Wo sich nicht mehr klar sagen lässt, wer aktiv und wer passiv
ist. In der Grammatik anderer Sprachen wie Altgriechisch und Sanskrit gebe es
eine andere Form, das Medium Passiv, mit der sich ein Geschehen klarer
ausdrücken lasse. In unserer Welt würden manche an Burnout leiden, andere an ihrer
Ohnmacht, manche an beidem. Sein utopischer Gedanke ist, sich mehr auf ein
In-der-Welt-Sein einzulassen und Teil eines Geschehens zu sein. Natürlich hat
das viel mit Theologie zu tun, man denkt an das Wachsen des Reiches Gottes und
an das Wirken des Heiligen Geistes. Oder auch an Gemeinschaft in der Gemeinde
und wie schön es sein kann, Teil eines besonderen Geschehens zu sein – wenn die
unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen, wenn etwas Neues entsteht, wenn
ein Raum da ist, um den Traum vom Frieden zu träumen. Eine Gemeinde, die
wiederum Teil eines größeren Geschehens ist, einer Bewegung spätestens seit
Jesus, aber auch schon seit Moses und den Propheten, und Teil einer Bewegung
für das Leben, die in den unterschiedlichsten Gemeinschaften lebendig ist. So
ist diese Utopie nicht so utopisch, sondern auch erlebbar, wofür ich dankbar
bin.
Der Kirchentag war
für die Gruppen Palaver Rhababa und Morgen ein schönes Erlebnis, wenn auch
nicht konfliktfrei – aber genau das war sehr anregend und hat uns zu einem
neuen Konzept gebracht bei Palaver Rhababa: Wir wollen die Konflikte, die
auftauchen als kreativen Motor verwenden und gerade darüber Lieder schreiben.
Weil wir merken, dass es immer wieder Konflikte sind, die nicht nur uns,
sondern die ganze Gesellschaft spalten. Und dem wollen wir etwas
entgegensetzen.
Kirchentag lohnt
sich!